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Gemeinde Weingarten (Baden)

Gedenken: 80. Jahrestag der Deportation nach Gurs

Artikel vom 28.10.2020

Gurs liegt 1.444 Kilometer von Weingarten entfernt in Südfrankreich. Der Wegweiser an der Durlacher Straße ist der erste Hinweis auf ein bewegendes Thema, das in Weingarten nicht zum ersten Mal aufgegriffen wurde: Das Leben der jüdischen Mitbürger in der Dorfgemeinschaft Weingarten und wie brutal es unter der Herrschaft des NS-Regimes beendet wurde. Er ist zugleich Einstieg in ein neues, aktuelles Projekt, das Mitglieder der Kolpingfamilie und der katholischen Jugend zum Gedenken der 24 Weingartner Juden initiiert haben, die am 22. Oktober 1940 verhaftet, auf einen Lkw gepackt und ins Lager Gurs in den Südpyrenäen deportiert wurden. Vor vielen Jahren bereits hat eine ähnliche Projektgruppe das Gedenken an diese Menschen mit der Aktion „Stolpersteine“ gewürdigt und in Weingarten vor ihren ehemaligen Wohnhäusern Stolpersteine verlegen lassen. Und es gab die Projektarbeit „Spurensuche“, ebenfalls ein Jugendprojekt der Kolpingsfamilie, das dem Leben dieser Weingartner Bürger nachging und darüber eine Dokumentation verfasst hat.

Zum 80. Jahrestag
Jetzt gab der 80. Jahrestag den Anlass, dieses grausamen Geschehens erneut zu gedenken. Den Anstoß dazu gab die katholische Pastoralreferentin Elke Litterst und die Veranstaltung war mit Texten, Bildern, Klezmer-Musik und Gegenständen nicht nur sehr informativ, sondern auch mental bewegend aufbereitet.

Alltag mit den jüdischen Mitbürgern
An sieben Stationen in und um die katholische Kirche zeigten die Mitglieder der Projektgruppe „Geschichte, die uns stolpern lässt“ eine eindrückliche Ausstellung mittels unterschiedlicher Medien. Den Auftakt bildete ein Vortrag von Berichten und Erinnerungen von Zeitzeugen. Mehrere Helfer*innen lasen im Pavillon vor der Kirche, die Texte lagen in einem Hefter zum Nachlesen und Mitnehmen aus.  Die Inhalte sprachen von einem sehr harmonischen Zusammenleben zwischen der Dorfbevölkerung und der jüdischen Gemeinde und von gegenseitiger Wertschätzung. Konkrete Einzelheiten aus dem Jugendprojekt „Spurensuche“ der Kolpingsfamilie, Namen und Schilderungen aus dem Alltag vermittelten ein anschauliches Bild vom Alltag und der ständigen Gefahr in der Dorfgemeinschaft Weingarten vor 1940.

Grußtext und Kaffeetafel
Im Inneren der katholischen Kirche war gleich zu Beginn ein Grußwort von Bürgermeister Eric Bänziger zu lesen. „Auch wenn sich das Ereignis bereits zum 80. Male jährt, ist es nicht Zeit „endlich“ zu vergessen. NEIN! Es ist Zeit, die Erinnerung wachzuhalten, den Opfern Namen und ein Gesicht zu geben.“ Dieses Erinnern passe in unsere Zeit des gesellschaftlichen Auseinanderdriftens und sei darum wichtig, schrieb Bänziger. In einer Ecke symbolisierte ein Tischchen mit Kaffeegedeck die Erinnerung an Julchen Löwenstein, die an diesem Tag ihren 80. Geburtstag feiern wollte, aber am selben Tag mit ihrem Ehemann Leopold abgeholt wurde. In einer anderen Ecke standen 24 Koffer. Wahllos hingestellt, jeder mit einem Namensschild, warteten sie darauf, verladen zu werden. Die Projektgruppe hatte die Namen der Deportierten im Ortssippenbuch recherchiert und eine Liste zusammengestellt. Und wie erging es den Überlebenden? 31 Weingartener konnten aus Deutschland fliehen. Über ihr Schicksal, Leben im Exil, berichtet eine Schautafel. Die Texte berichteten von Vereinsamung und von einem Überlebensschuldsyndrom.

Das Euthanasieprogramm T4
Die nächste Station widmete sich Jenny Fuchs. Sie wurde 1940 in der „Heilanstalt Grafeneck“ ermordet. An ihr wurde der Begriff Euthanasie und das Programm T4 erklärt. Menschen mit Krankheit oder einer Behinderung wurden von Ärzten aussortiert und über Tarnorganisationen den Mordfabriken zugeführt. Symbolisch und als Mittel- und Ruhepunkt zugleich waren auf den Stufen des Altars Kerzen aufgebaut, die auf einen siebenarmigen Leuchter hinführten. Auf zwei Rollups waren markante Daten und Fakten aus der evangelischen und der katholischen Kirchengeschichte und ihrer Haltung zum Nationalsozialismus zu lesen. Die ausgewählten Texte zeigten ein eher unrühmliches Bild der beiden Kirchen, erläuterten aber auch die Hintergründe dieser Haltung und die Bemühungen um Aufarbeitung.

Aufgrund der Pandemie war die ursprüngliche Absicht, die Stationen im Ort zu verteilen, geändert worden. Nun gingen die Besucher einzeln oder zu zweit mit gebührendem Abstand über die vorgegebenen Wege innerhalb der Kirche von Station zu Station. Jeder nahm die angebotenen Informationen und Eindrücke für sich auf. Ein Konzert mit Impulstexten zum Auftakt hatte bereits am Donnerstag, den 22. Oktober in der katholischen Kirche stattgefunden. Musiziert haben Cecilia Nagy, Clara Förster, David Metzger, Eberhardt Blauth, Rainer Nagel und Reiko Emura.

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