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Der Neujahrsempfang der Gemeinde
am 13.01.2023 im ev. Gemeindehaus
Um Aufbruch und Veränderung ging es in den Reden beim Neujahrsempfang der Gemeinde Weingarten.
Bürgermeister Bänziger freute sich über die zahlreich erschienen Gäste, darunter viele Gemeinderäte, Vertreter der Schulen, Kindergärten, Kirchen und anderen Einrichtungen. Thomas Jehle, ehemaliges Vorstandsmitglied der Weingartner Musiktage, begleitete den Abend mit mitreißenden Stücken auf dem Flügel.
Die aktuelle Lage
Der Bürgermeister begann mit einem Blick auf die aktuelle Lage: „Die Zeitenwende ist angekommen.“ Der Anteil der Staatsausgaben an der allgemeinen Volkswirtschaft, die sogenannte Staatsquote, sei in jüngster Zeit stark angestiegen, was auch steigende Ausgaben der Kommunen bedinge. Drei Millionen jährlich seien in Weingarten allein für Kinderbetreuung aufzubringen neben vielen anderen Themen: Sozialer Wohnungsbau, Asyl, Sicherung der medizinischen Versorgung, Erhalt des Einzelhandels, Wärmeversorgung, Ganztagesschule im Grundschulbereich, Schutz der Wasserversorgung, Brandschutz und mehr. Veränderungen fordern einen höheren Verwaltungsaufwand vor dem Hintergrund von immer weniger Werktätigen. Auf zwei Berufsabgänger komme derzeit nur ein Berufseinsteiger.
Ansprache Dr. Roman Glaser
Mit seinen Worten von einer steigenden Staatsquote unter der auch die Kommunen zu leiden hätten, gab Bänziger eine Steilvorlage an Dr. Roman Glaser, den Präsidenten des baden-württembergischen Genossenschaftsverbandes. Glaser war Mitunterzeichner des Offenen Briefs an den Ministerpräsidenten mit dem Titel „In großer Sorge um unser Land“. In einer Situation zwischen „depressiv werden“ und „Augen verschließen“ heiße es „Lösungen suchen“. Das sei das Bestreben der Verbände gewesen, in einer so nie da gewesenen Allianz von Städten, Landkreisen, Unternehmen, Sparkassen und Genossenschaften sich an die Politik zu wenden. Das gemeinsame Schreiben der Spitzenverbände des Landes (welches auf der Internetseite der Gemeinde hier abrufbar ist) beklage die regulatorischen Einschränkungen in vielen Bereichen und fordere eine Entfesselung, vor allem der Wirtschaft. Der gemeinsame Brief zeige die Dringlichkeit auf, einem lähmenden Stillstand zu begegnen und die Überregulierung abzubauen. Ein grundlegender Reformprozess müsse gemeinsam in Gang gesetzt werden und sei eine Aufgabe aus der Mitte der Gesellschaft und nicht der Ränder. Denn einfache Lösungen, wie sie aus einer Ecke vorgeschlagen werden, bringen das Land nicht voran. Jetzt sei die Zeit gekommen, nachzuhaken und die Zielkonflikte offenzulegen. Dazu seien alle gefordert.
Mut zur Zumutung
Statt nach staatlicher Hilfe zu rufen, sei mehr Eigenverantwortung gefragt. Konflikte seien gemeinsam zu lösen anstatt gegenseitig Vorwürfe zu erheben. Warum nicht den Blumenkübel an der Straße einfach selbst gießen, als diese Aufgabe dem gemeindlichen Bauhof zuzuweisen. Und bei Uneinigkeiten das persönliche Gespräch suchen, anstatt eine Beschwerde beim Ordnungsamt einzureichen. Die Haltung, alles dem Staat vor die Füße zu legen, bringe uns nicht weiter. Vielmehr sei es die Frage: Was kann ich selbst tun, wo kann ich meine demokratische Mitverantwortung wahrnehmen? Das seien manchmal Zumutungen, aber er rate: Mut zu fassen, Zumutungen anzunehmen. Der Brief an den Ministerpräsidenten sollte keine Eintagsfliege bleiben, sondern der Anfang zu einem dauerhaften Reformprozess sein, den alle gemeinsam anstoßen müssten, sagte der Genossenschaftler. Er schloss mit den Worten des Genossenschaftsbegründers Wilhelm Raiffeisen: Was einer nicht schafft, das schaffen viele.
Unser Haus brennt
Bänziger dankte Glaser und stellte den zweiten Redner des Abends vor. Nicholas Schmitt arbeitet seit einigen Monaten als Klimaschutzbeauftragter in der Gemeindeverwaltung und warf aus seiner Sicht mit einem eindrucksvollen Bild einen Blick auf Gegenwart und Zukunft in dieser Thematik: „Unser Haus brennt. Wir hören die Flammen im Dachstuhl knistern, aber wir tun nichts. Vorher waren wir krank, jetzt verwüstet ein Einbrecher unsere Küche und die Heizung ist kaputt. Da tritt der Brand im Dachstuhl in den Hintergrund. Aber wir sehen nicht, dass ein Problem ein größeres Vernichtungspotenzial hat als alle anderen: Das Klima.“ Er malte das düstere Szenario zunächst noch weiter: Fatal seien die selbstverstärkenden Effekte: Wärmere Temperaturen bewirken ein Auftauen des Permafrosts, was noch mehr CO2 freisetze und bewirke ein noch schnelleres Abtauen der Gletscher, die die Wasserreservoirs der Erde darstellen. Nur mit massivem Gegensteuern sei die vom Weltklimarat geforderte Begrenzung der Erderwärmung noch zu erreichen. Die Energieversorgung muss autark werden. Dadurch entstünden auch viele positive Begleiteffekte: Der Ausbau der Erneuerbaren Energien werde gestärkt, Wärmedämmung am eigenen Haus senke die Heizkosten und stärke das lokale Handwerk. Auf einen anfänglichen Invest folgen alsbald Einsparungen, denn jede Stromgewinnung aus anderen Energieträgern sei billiger als aus fossilen.
Das Haus brennt, aber die Feuerwehr ist da
Photovoltaikanlagen, Geothermie und Windkraft seien die großen Möglichkeiten, alternative Energie zu gewinnen und damit letztendlich der menschengemachten Erderwärmung gegenzusteuern. Schmitt zeigte aber auch, dass Weingarten in manchen Bereichen schon sehr weit sei. Nahwärme komme aus eigener Holzproduktion, Schule, Rathaus und andere Gebäude werden damit beheizt. Andere kommunale Gebäude sollten mit Photovoltaik belegt werden. Ein kommunales Energiemanagement zeige Möglichkeiten zur höheren Effizienz auf. Die drei Windräder, die die EnBW errichten wolle, reichen aus, um den Jahresbedarf der 4.000 Weingartener Haushalte zu decken. Das langfristige Ziel sei, mehr elektrische und thermische Energie zu produzieren als verbraucht wird. Weitere Potenziale lägen noch in anderen Aspekten. Die Verkehrsplanung stelle Fußgänger und Radfahrer in den Vordergrund. Auf dem Bausektor sollte Holz zunehmend Verwendung finden, denn Stahl und Zement verursachen bei ihrer Erzeugung hohe Emissionen. Dass der Einzelne nichts bewirken könne, halte er für eine bequeme Ausrede. Als Beispiele nannte er energieeffiziente Geräte zu verwenden und das eigene Konsumverhalten zu hinterfragen. Bei Fragen könne die Energieberatung in Anspruch genommen werden oder man könne Mitglied in einer Bürgerenergiegenossenschaft werden. Es sei unser aller Pflicht, im Klimaschutz voranzugehen. Unser Haus brennt, aber die Feuerwehr ist da.
Rückblick und Ausblick
Zum Schluss gab der Bürgermeister einen Rückblick auf das vergangene Jahr und einen Ausblick auf 2023.
Drei große Veränderungen nannte er stellvertretend für viele Ereignisse, die Weingarten bewegt hätten.
Der Krieg in der Ukraine habe neben anderen Brandherden eine weitere Flüchtlingswelle nach Weingarten gebracht. Insgesamt seien jetzt über 200 Flüchtlinge im Ort zu integrieren. Der Großbrand auf dem Firmengelände Trautwein habe einen Großeinsatz der Rettungskräfte auf den Plan gerufen. Feuerwehr und Rotes Kreuz waren mit Einsatzkräften in Hunderterstärke vor Ort. Bänziger schloss mit einem Blick auf ein sehr schönes Ereignis: Das Sommerfest auf dem alten Festplatz, den der Bauhof mit einem Großeinsatz festtauglich hergerichtet hatte.
Sein Ausblick galt vor allem den großen Investitionen, die auf Weingarten in 2023 zukommen werden. Windkraft werde eine wesentliche Stütze der Energieversorgung werden. Mit der Turmbergschule tue sich die Gemeinde schwer. Der Nettoanteil des Invests liege mit 30 Millionen bei der Gemeinde. Güterschienenverkehr, Kiesabbau, Deponie, Flächen für Photovoltaik und vieles mehr - Weingarten ist an allen Ecken und Enden betroffen. Im Weiteren berichtete er, dass die Straßensanierungen weitergeführt werden, eine Ertüchtigung der Kläranlage in Planung sei, die Carix-Anlage erweitert werden müsse, Weingarten in die kommunale Kinderbetreuung einsteige und im Juli das identitätsstiftende Straßenfest mit Wahl der Weinkönigin stattfinde. Er freue sich über seine Verwaltung, die vor allem zu Zeiten, wenn die Menschen Urlaub hätten und sich Zeit für ihre Angelegenheiten nehmen könnten, für die Bürgerinnen und Bürger da sei. In der interkommunalen Zusammenarbeit sehe er eine Möglichkeit, dem Fachkräftemangel zu begegnen.
„Weingarten hat großes Potenzial und gemeinsam können wir die Zeitenwende schaffen.“