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Was macht der Weingartner Wein?
Momentaufnahme aus den Rebhängen
Keine Frostprobleme. Keine Hagelschäden. Genug Wasser und jetzt reichlich Sonne. Nur Gutes berichten der Chef der Weinmanufaktur Weingarten Frank Gauss und sein Kellermeister Volker Hartmann über das Frühjahr 2021 und den Stand der Reben Mitte Juni. „2021 gab es schon deutlich mehr Niederschläge als bis zur selben Zeit im vergangenen Jahr. Die Reben wachsen enorm“, sagt Hartmann. „Wenn alles so bleibt, bekommen wir einen guten, normalen Herbst“. Das Jahr 2020 sowie die beiden Sommer davor seien eindeutig zu trocken gewesen. Das habe den Trauben zwar sehr hohe Öchsle-Grade beschert, aber auch Einbußen an der Ertragsmenge. Der Saft verdunstete in der prallen Hitze und die Trauben wurden immer leichter.
Trendwandel im Anspruchsprofil
„Öchslegrade interessieren heute nicht mehr so wie früher“, sagt Gauss. Öchsle bezeichnen den Zuckergehalt im Traubensaft und sind zwar immer noch die Maßeinheit für die Qualität der Trauben, nach der die Winzer bezahlt werden, aber das Anspruchsprofil des modernen Weinbaus hat sich geändert. Süße, alkoholreiche Weine finden kaum noch Abnehmer. Die Weinmanufaktur arbeitet – seit vielen Jahren schon – an Weinen, in denen man den Mineralgehalt des Muschelkalks ihrer Heimatböden schmecken kann. Ein ausgewogenes Säurespiel macht ihre Erzeugnisse spritzig-frisch mit feinen Fruchtaromen. Alternativ ergänzt seit einigen Jahren eine andere Geschmackslinie das Portfolio: Feinherb. „Feinherb wird zunehmend nachgefragt“, berichtet Gauss. Das spreche die Weintrinker an, die einen Bereich zwischen trocken und halbtrocken schätzen. Die Rebblüte ist gerade vorbei, aus den Gescheinen entwickeln sich die späteren Beeren. „Jetzt ist die wichtigste Zeit für den Pflanzenschutz“, erklärt Hartmann. „Oidium und Peronospora (Echter und Falscher Mehltau) dürfen jetzt gar nicht erst entstehen.“ Die beiden Winzer betrachten die prachtvolle Rebzeile vor dem Haus, die die Mitglieder des Volkshochschulkurses gepflanzt haben. Dieser Kurs mit acht Unterrichtseinheiten gibt seit Jahren angehenden Hobbywinzern das Rüstzeug, um sich in der nicht ganz einfachen Materie des Weinbaus zurecht zu finden. Die zehn Rebstöcke sind Beispiele für alle Sorten, die die Weinmanufaktur im Angebot hat, darunter den Auxerrois.
Der Auxerrois ist eine Besonderheit
Mit diesem hochfeinen, säurearmen Weißwein hat Frank Gauss noch Pläne. Er hat zwei Hektar zusätzlich angepflanzt und will einen Teil dieses hochfeinen Weißweins im kommenden Jahr als Selektion verarbeiten. Das setze dann Handlese voraus, das Lesegut dürfe keine einzige faulige Beere enthalten. Die Menge werde auf maximal 80 Kilogramm pro Ar begrenzt, notfalls müsse das untere Drittel des Henkels abgeschnitten werden. Aber der Auxerrois ist nicht der meist Getrunkene. Da liegen Weiß- und Grauburger deutlich vorn. Den größten Flächenanteil auf Weingartener Gemarkung hat der Spätburgunder inne. Der Flächenanteil der Weißweine beträgt insgesamt 60 Prozent, der Rotweine 40 Prozent. „Zurzeit reift ein Spätburgunder im Holzfass“ freut sich Hartmann und zieht eine Probe. „Richtig rubinrot“ lobt er die Farbe bei einem Schwenk des Glases gegen das Licht.
Spätburgunder im Holzfass
Die Rebe stamme aus einem lockerbeerigen Klon, die Trauben seien intensiv im Geschmack und kerngesund“ stellt er fest. Gauss steckt die Nase ins Glas. „Beerenaromen“ spürt er, „Brombeere und Schwarze Johannisbeere“. Im Zuge des Klimawandels erwartet er, dass auch die südländischen Sorten mehr und mehr hier Fuß fassen werden. Er denkt dabei an Merlot, Cabernet Sauvignon oder Chardonnay. Aber das sei ein Prozess. Das gehe nicht von heute auf morgen.
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1 Nach der Rebblüte: Jetzt ist die wichtigste Zeit, die Reben gegen Oidium und Peronospora zu schützen, sagen Volker Hartmann (links) und Frank Gauss